Betteln: Was ist verboten? Was ist erlaubt?
10.01.2013
| 18:28 | PHILIPP AICHINGER UND EVA WINROITHER (Die Presse)
Das Verfassungsgericht hebt das
steirische Bettelverbot auf, weil es das Betteln zu stark einschränkt - stilles
Betteln müsse erlaubt sein. In Wien, wo die Regelung nicht gekippt wurde, gab
es im Vorjahr 1458 Anzeigen.
Wien. Das Bettelverbot in der Steiermark ist
rechtswidrig. Das gab der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Donnerstag bekannt.
Die Entscheidung ist ein vorläufiger Schlussstrich unter eine Reihe von
Urteilen, die es zu Bettelverboten in fünf Bundesländern zu fällen galt. „Die
Presse“ hat untersucht, welche Einschränkungen des Bettelns rechtlich möglich
sind und was Bettelverbote bringen.
1 Ist es nach den
VfGH-Urteilen nun überhaupt noch möglich, Bettelverbote zu erlassen?
Ja.
Das Höchstgericht hat festgestellt, dass es den Bundesländern erlaubt ist,
Bettelverbote zu erlassen. Allerdings darf das Betteln nicht völlig verboten
werden. So ist es etwa nicht möglich, auch das stille Betteln zu untersagen.
Dies sah die aufgehobene Salzburger Regelung vor, weil es das Betteln ganz
verbot und es nicht einmal mehr erlaubt war, ruhig auf der Straße zu sitzen und
per Handaufhalten um milde Gaben zu bitten.
In
der Steiermark legte man ein absolutes Bettelverbot fest, erklärte aber, dass
Gemeinden „Erlaubniszonen“ einführen können, in denen Betteln gestattet bleibt.
Diese Regelung sei aber ebenfalls rechtswidrig, sagt der VfGH. Denn die
Gemeinden können zwar Erlaubniszonen einrichten – sie müssen aber nicht. Damit
ist das Bettelverbot aber wieder ein absolutes.
2 In welchen
Bundesländern gibt es Bettelverbote und wie sehen diese nach den Urteilen aus?
Die
Bettelverbote in Oberösterreich, Kärnten und Wien hielten im Vorjahr vor dem
VfGH, weil sie bloß bestimmte Erscheinungsformen des Bettelns untersagen. Alle
Länder haben unterschiedliche Gesetze und Definitionen geschrieben. Sie alle
lassen aber die Möglichkeit des stillen Bettelns offen. Untersagt sind in den
diversen Landesgesetzen zum Beispiel aggressives Betteln, Betteln mit Kindern
oder gewerbsmäßiges Betteln. Alle diese Dinge dürfe man auch verbieten, sagt
der VfGH.
In
Salzburg verabschiedete man, nachdem das absolute Verbot vom VfGH gekippt
worden war, eine neue Regelung. Auch in Salzburg ist nun nicht jegliches
Betteln verboten, sehr wohl aber aufdringliches oder aggressives Betteln und
der Einsatz von unter 14-jährigen Kindern. Eine ähnliche Regelung gilt nach der
jetzigen VfGH-Entscheidung auch in der Steiermark. Denn das aktuelle Urteil sorgt
dafür, dass das alte steirische Gesetz wieder auflebt, das nur bestimmte Arten
des Bettelns verbietet.
Bettelverbote
gibt es unabhängig von den jüngsten VfGH-Urteilen auch in Tirol,
Niederösterreich und Vorarlberg. Im Ländle gilt (noch) ein absolutes Bettelverbot.
Vorarlberg will deswegen sein Gesetz reformieren, um etwaigen Rechtsstreit zu
vermeiden. Im Burgenland gibt es kein Landesgesetz gegen Betteln.
3 Warum darf man
das Betteln nicht generell verbieten?
Der
VfGH verweist auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Darin steht das
Recht auf Meinungsäußerung und aus diesem Recht lässt sich auch die Befugnis,
um milde Gaben zu bitten, ableiten. Stilles Betteln „an öffentlichen Orten
ausnahmslos zu verbieten, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht
notwendig“, betonen die Höchstrichter.
4 Wie wird das
Bettelverbot in Wien exekutiert?
In
Wien wird zwischen verschiedenen Arten von Bettelei unterschieden: Verboten
sind aggressives, gewerbsmäßiges und organisiertes Betteln sowie Betteln mit
Kindern bis 14 Jahre (Definitionen siehe unten). Im vergangenen Jahr gab es in
der Bundeshauptstadt 1458 Anzeigen wegen Bettelei, wobei sich 836 Anzeigen auf
aufdringliche, 132 auf aggressive, 453 auf gewerbsmäßige und 29 auf
organisierte Bettelei bezogen. Des Weiteren gab es acht Anzeigen wegen Bettelei
mit Kindern. Seit Einführung des Verbots sind die Anzeigen deutlich gestiegen.
Laut Polizeisprecher Roman Hahslinger ist dabei kein Fall aufgetaucht, bei dem
eine ganze Bettlermafia ausgehoben oder jemand zum Betteln gezwungen wurde. Wie
die einzelnen Bettelverbote (etwa das Wort „aggressiv“) genau definiert werden,
sagt das Wiener Landesgesetz nicht, dies ist Auslegungssache der Polizei.
Verstößt ein Bettler gegen eines der Bettelverbote, drohen Strafen bis zu 700 Euro.
5 Wie viele Bettler
gibt es in Wien und woher kommen sie?
Wie
viele Bettler es in Wien gibt, wird nicht erfasst. Und weder Polizei noch
diverse Bettler-Aktivisten wollen sich auf eine Schätzung festlegen. Einig sind
sich aber alle, dass die meisten Bettler aus dem Ausland kommen, zum Großteil
aus Rumänien und Bulgarien. Unter den heimischen Bettlern finden sich wiederum
Punks, Drogenabhängige und Obdachlose, sagt Birgit Hebein, Sozialsprecherin der
Wiener Grünen. Sie geht davon aus, dass wegen wachsender Armut die Zahl der
Bettler in Wiens Straßen am Steigen ist.
6 Wie entwickelt
sich die Bettler-Situation in Wien?
Seit
der Novelle 2010 (damals wurde das Verbot der gewerbsmäßigen Bettelei im Gesetz
verankert) ist die Zahl der Anzeigen gestiegen (von 1127 im Jahr 2010 auf 1273
im Jahr 2011, 2012 hielt man bei 1458). Mit ein Grund dafür ist, dass die
Polizei nun stärker gegen Bettler vorgeht. Ob das Bettelverbot die Zahl der
Bettler verringert hat? Das, so die Exekutive, könne man nicht sagen.
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)
Pro: "Missstände in Wien"
10.01.2013
| 18:28 | (Die Presse)
VP-Politiker Ulm: Polizei muss
schärfer gegen Bettler vorgehen - sonst wäre das Amtsmissbrauch.
Die
Presse: Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs: Ist Betteln ein
Menschenrecht?
Wolfgang
Ulm: Wer zu wenig Geld hat, den muss man zur Schuldnerberatung schicken.
Außerdem gibt es ja staatliche Unterstützungen.
Wenn
jemand keinen Anspruch auf eine staatliche Unterstützung hat?
Wenn
Menschen, denen es in der Slowakei oder Rumänien wirtschaftlich schlecht geht,
pro Tag in Wien 100 Euro erbetteln, ist das für sie viel Geld. Das ist aber
nichts, was wir akzeptieren sollten, weil es nicht bei einer Person bleibt. In
Wahrheit geht es um organisiertes und erwerbsmäßiges Betteln.
Was
ist mit der christlich-sozialen Verantwortung für Schwächere?
Ich
bin für Spenden an soziale und karitative Organisationen, die vor Ort etwas für
arme Menschen leisten.
Gibt
es zu viele Bettler in Wien?
Wir
hören viele Klagen von Wienern, dass sie zu keinem Supermarkt mehr gehen
können, ohne angebettelt zu werden. Deshalb gehen viele nicht mehr in
Einkaufsstraßen, sondern in Einkaufszentren, wo es eine Security und daher
keine Bettler gibt. Man müsste das Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns besser
exekutieren. Es sind ja immer dieselben, die vor den Supermärkten stehen.
Die
Polizei soll in Wien härter durchgreifen?
Wenn
man sehenden Auges als Behörde nicht einschreitet, stellt sich die Frage, ob
das nicht Amtsmissbrauch ist. Die Gesetze müssen vollzogen werden, um die
Bettelmissstände zu beheben.
Warum
wird das Gesetz nicht vollzogen?
Weil
Rot-Grün nicht davon überzeugt ist. Der Bürgermeister muss mit dem
Polizeipräsidenten über mehr Schwerpunktkontrollen reden. Denn 99 Prozent der
Betteleien vor Supermärkten und in der Innenstadt sind gewerbsmäßig.
Wenn
die Polizei strenger kontrollieren würde, wäre Wien fast bettlerfrei?
Sicher!
Man kann außerdem nicht sagen, dass es zwischen Bettelei und Kriminalität gar
keinen Zusammenhang gibt. stu [Internet]
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)
Kontra: "Recht, um Hilfe zu bitten"
10.01.2013
| 18:28 | (Die Presse)
Der Grazer "Bettelpfarrer"
Wolfgang Pucher kämpft seit Jahren gegen das Bettelverbot.
Die
Presse: Warum treten Sie gegen das Bettelverbot auf?
Wolfgang
Pucher: Arme Menschen müssen das Recht haben, in ihrer Not auch um Hilfe zu
bitten. Auch im öffentlichen Raum.
Aber
solange man Betteln erlaubt, hält man der organisierten Kriminalität –
Stichwort Bettlerbanden – ein lukratives Geschäftsfeld offen.
Wir
haben das in Graz untersucht. Die Bettler, häufig Roma, sind statistisch
gesehen nicht mehr oder weniger kriminell als Österreicher. Selbst die
Staatsanwaltschaft konnte keine organisierten Bettlerbanden nachweisen.
Vermutlich wird es das organisierte Betteln wohl in geringem Ausmaß geben, ich
selbst bin dieser Form jedoch noch nie begegnet. Es ist deshalb falsch,
aufgrund vereinzelt auftretender Fälle eine ganze Volksgruppe zu
kriminalisieren.
Dennoch
erhöht legales Betteln das Risiko für schwache, bedürftige oder behinderte
Menschen, von Dritten für ihre Zwecke missbraucht zu werden.
Kriminelle
Einzelfälle soll man bekämpfen. Der wirksamste Weg auch diese zu verhindern,
wäre, Quartiere für alle obdachlosen Bettler zu schaffen. Unsere Vinziwerke
haben das in mehreren Bundesländerhauptstädten getan. Sehr häufig funktioniert
die Bettelkriminalität nämlich so, dass die Banden Bettlern eine Unterkunft
bieten und sie als Gegenleistung dafür auf die Straße schicken.
Können
Sie nachvollziehen, dass sich Passanten durch aggressives Betteln oder
bewusstes Zurschaustellen von Behinderungen oder Verstümmelungen zumindest
unwohl fühlen?
Aggressives
Betteln lehne ich ab. Der Begriff „Zurschaustellen“ gefällt mir nicht. Wenn
jemand eine Behinderung hat, die ihm das Leben schwer macht, hat er wohl alles
Recht, der Welt zu zeigen, warum es ihm schlecht geht.
Das soziale Netz ist dicht. Objektiv gibt es wenig Gründe, überhaupt auf der Straße zu betteln.
Man
darf nicht vergessen, dass viele, die das machen, aus Scham oder wegen
psychischer Erkrankungen gar nicht zum Sozialamt gehen, obwohl ihnen Hilfe
zustünde. awe [APA]
("Die
Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)
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