12.01.2014

Migrationsbegriffe

Ausländer? Neoösterreicher? Mehrheimische?
17.04.2012 | 18:22 | Von Clara Akinyosoye (Die Presse)

Wie soll man Migranten und ihre Nachkommen bezeichnen? Möglichkeiten gibt es viele, doch kaum eine wird von allen Seiten akzeptiert. Aktuell steht vor allem der Begriff "Migrationshintergrund" zur Diskussion.

Wien. Bald ist es ein Jahr her – am 21. April 2011 wurde Sebastian Kurz als Integrationsstaatssekretär angelobt. Der Jungpolitiker hat Anlass zur Freude, denn in Wirtschaft, Medien und Politik wird größtenteils eine positive Bilanz aus seiner Arbeit gezogen. Wenig erfreut dürfte Kurz über das Jubiläumspräsent von SOS Mitmensch sein. Denn am Dienstag hat die Organisation Kurz die Zwischenbilanz der Petition „Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund“ übergeben.
Kritisiert wird, dass der Begriff von der Politik missbraucht wird. So würden Menschen mit Migrationshintergrund zu Problemgruppen gemacht und von ihnen Leistungen erwartet, die von „anderen“ nicht erbracht werden müssen. Migrationshintergrund würde fälschlicherweise zu etwas gemacht, das eine Gruppe von Menschen verbindet. Die Politik sollte sich aber eher mit Hintergründen wie Bildung oder sozialer Stellung auseinandersetzen, die mehr über einen Menschen aussagen. Es sei zur Fixierung auf den Migrationshintergrund gekommen.
Bis jetzt haben 750 Menschen die Petition unterzeichnet, sagt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Grundsätzlich werde der Begriff zwar nicht abgelehnt, aber alle Menschen sollten selbst bestimmen können, ob und wann sie ihren Migrationshintergrund in den Vordergrund rücken. Im Staatssekretariat für Integration zeigt man für die Petition kein Verständnis. Die formulierten Anliegen würden bedeuten, dass man das Staatssekretariat abschaffen müsse. „Wir sind gegen eine Abschaffung des Staatssekretariats für Integration und wollen weiterarbeiten“, heißt es. Die Kritik, dass nur von Menschen mit Migrationshintergrund Leistung erwartet werde, weist man zurück. „Das ist eine bewusste Falschinterpretation. Es geht darum, Leistung zu fördern, anzuerkennen und zu ermöglichen.“ Leistungen von „Menschen, ohne die es dieses Land nicht mehr geben würde.“
„Verzerrtes Bild der Realität“?
Den Organisatoren und Unterzeichnern der Petition wird ein „sehr verzerrtes Bild“ der Realität attestiert. Sie würden nicht sehen, dass es Herausforderungen im Integrationsbereich gebe. Mit Beschwerden über die missbräuchliche Verwendung des Begriffs Migrationshintergrund sei man bis jetzt jedenfalls noch nicht konfrontiert worden.
Tatsache ist, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ momentan Hochkonjunktur feiert. 2008 wurde er durch die Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung zum Thema „Arbeitsmarktsituation von Zuwanderern und ihren Nachkommen“ durch die Statistik Austria in Österreich gewissermaßen eingeführt. Damals noch ein neutraler Begriff, der auch Einzug in die Wissenschaft gefunden hat, wird er mitunter auch von Wissenschaftlern als unpräzise und nichtssagend befunden und in der Öffentlichkeit zunehmend mit politischen Debatten über Zuwanderung, Defizite und Integrationswilligkeit in Verbindung gebracht.
Dass ein bloßes Auswechseln von Bezeichnungen den Ton und die Inhalte der Diskussionen nicht verändert, ist den Initiatoren der Petition durchaus bewusst. In einem Zusatzpapier zur SOS-Mitmensch-Petition steht: „Wenn es etwas gibt, was wir aus den vergangenen Jahren gelernt haben sollten, dann das: Es genügt nicht, einen falschen Begriff einfach durch einen anderen zu ersetzen. Es braucht eine viel grundlegendere Neuorientierung.“
Alt- vs. Neoösterreicher
An Wörtern zur Beschreibung von Menschen mangelt es grundsätzlich nicht. Wo man früher einfach Österreicher sagte, heißt es immer öfter Altösterreicher oder autochthone Österreicher, um die Grenze zu jenen Menschen zu ziehen, die eingebürgert wurden. Und für die Zuwanderer gibt es eine regelrechte Begriffsflut. Einige Einblicke, wer tatsächlich gemeint ist, wenn von Neoösterreichern, Menschen mit Migrationshintergrund oder Weltenbürgern die Rede ist, soll das Migrationslexikon liefern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2012)
Autochthoner Österreicher, der. Mensch, der die österreichische Staatsbürgerschaft und keinen Migrationshintergrund hat, auch indigener Österreicher. Wird als Abgrenzung zu eingebürgerten Österreichern und Österreichern mit Migrationshintergrund gebraucht.

Asylwerber, der. Mensch, der einen Antrag auf internationalen Schutz, also einen Asylantrag stellt. Bis zum Abschluss des Verfahrens gilt er als Fremder und ist als Asylwerber (in Deutschland: Asylbewerber) zu bezeichnen. Bei positivem Bescheid ändert sich der Status zu Asylberechtigter bzw. Anerkannter Flüchtling (siehe Flüchtling). Asylwerber werden oft auch als Asylanten (verächtlich) bezeichnet, siehe auch Scheinasylant.

Ausländer, der.
Angehöriger eines fremden Staates oder staatenlose Person. Als A. gilt ein Mensch, der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird A. auch für österreichische Staatsbürger verwendet, die selbst und/oder deren Eltern nicht gebürtige Österreicher sind. Die Verwendung des Begriffes war bis Ende der 80er-Jahre in der Politik üblich. Dient zum Teil auch noch heute zur Abgrenzung Einheimischer von Zuwanderern oder Eingebürgerten.

Bauer, anatolischer, der (verächtlich). Bewohner von Anatolien (asiatischer Teil der heutigen Türkei, macht 97 Prozent des türkischen Staatsgebietes aus). Begriff steht für unqualifizierte bzw. ungebildete Arbeiter, die aus ländlichen Gebieten der Türkei stammen. In der Debatte über die „Rot-Weiß-Rot-Card“ wurde der Begriff in den Medien als Gegenpart zum hoch qualifizierten
Facharbeiter aus dem Ausland verwendet.

Bio-Österreicher, der
(umstritten). Menschen, die indigen-österreichische Wurzeln haben. Kein Mitglied der Familie hat in jüngerer Zeit Migrationserfahrung oder Migrationshintergrund. Unterstellt, dass Österreichersein auf biologischen Faktoren beruht. Wird als Abgrenzung zu eingebürgerten Österreichern bzw. Migranten verwendet.

Drittstaatsangehöriger, der
. Rechtsbegriff der Europäischen Gemeinschaft für Staatsbürger von Ländern, die weder in der EU noch im EWR (Europäischen Wirtschaftsraum) sind. Wird meist im Kontext von Fremdenrechtsgesetzen bzw. Asylpolitik gebraucht.

Dunkelhäutiger, der. Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Verwendung bei Menschen mit meist afrikanischen Wurzeln. Der Gegenbegriff „Hellhäutiger“ findet sich im Sprachgebrauch kaum.

Eingebürgerter, der
. Österreicher, der ursprünglich eine andere Staatsbürgerschaft hatte. Eine Voraussetzung: Kenntnisse der deutschen Sprache; Ausnahmen: bei besonderen Verdiensten kann um vorzeitige Verleihung der Staatsbürgerschaft angesucht werden, Bsp.: Spitzensportler – Deutschkenntnisse nicht erforderlich. Bis 2005 starker Anstieg der Einbürgerungszahlen, seit damals kontinuierlich im Sinken.

Einheimischer, der
. Mensch ohne Migrationshintergrund bzw. indigene Bevölkerung eines Landes. (
Autochthone Österreicher), allerdings gelten auch Menschen mit Migrationshinterund, die im Land geboren sind, als Einheimische.

Facharbeiter, hoch qualifiziert, der
. Begriff für eine Arbeitskraft, die dringend am heimischen Arbeitsmarkt gesucht wird. Der Bedarf kann aus der einheimischen Bevölkerung nicht gedeckt werden, ein allfälliger Migrationshintergrund des F. wird daher positiv in Kauf genommen.

Flüchtling, der
. Person, die ihre Heimat aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen oder ethnischen Gründen (nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention) verlassen hat und auf internationalen Schutz angewiesen ist. Rechtlich gelten Menschen erst dann als F., wenn sie in einem Land einen positiven Asylbescheid erhalten haben.

Fremder, der. Person, die aus einem anderen Land stammt, Gegenteil von Einheimischer (negativer Gebrauch). Bei F. handelt es sich etwa um Bürger des EWR-Raumes oder
Drittstaatsangehörige. Der Begriff wird unter anderem im Fremdenrechtsgesetz verwendet. Wird zum Teil auch (positiv besetzt) für Gäste im heimischen Tourismus gebraucht.

Illegaler, der. 1) Migrationssoziologie: Person, die unerlaubt in ein Land einreist oder sich darin ohne behördliche Genehmigung aufhält. 2) Alltag: Begriff für einen Menschen ohne gültige Papiere.

Integrationswilligkeit, die. Die Bereitschaft, sich zu integrieren. Wird von Menschen mit
Migrationshintergrund eingefordert. Integrieren meint Eingliederung in die Mehrheitsgesellschaft, wird häufig auch mit Assimiliation (Anpassung) verwechselt. Der Begriff I. wird von vielen Migranten abgelehnt.

Kopftuchmädchen, das
. Bezeichnung für junge muslimische Frauen (verächtlich), die ihre Haare mit einem Kopftuch verhüllen. Implizit wird dem K. mit dem Begriff religiöser Fundamentalismus und/oder Unterdrückung des K. durch männliche Familienmitglieder unterstellt.

Kriminaltourist, der. Person ohne ständigen Wohnsitz in Österreich, die das Land mit der Absicht betritt, Straftaten zu verüben. Taucht häufig in der Kriminalberichterstattung von Boulevardzeitungen auf.

Kulturbereicherer, der
. Bezeichnung für Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund, abwertend und spottend verwendet.

Mehrheimischer, der. Begriff für einen Menschen, der sich in mehr als einem Land beheimatet fühlt. Meist migrantische Selbstdefinition.

Migrant, der
. Mensch, der eine Migration unternimmt, also in ein anderes Land, Gegend oder Ort auswandert. Binnenmigranten (Migration findet innerhalb eines Landes statt) werden meist nicht als Migranten bezeichnet.

Migrationserfahrung, die. Hat jemand, der migriert ist. Gilt nicht für Menschen mit
Migrationshintergrund ab der zweiten Generation.

Migrationshintergrund, de
r. Kategorie für Menschen, deren Eltern im Ausland geboren wurden. Unterschieden wird zwischen
Migranten erster Generation, d. h. im Ausland Geborenen, und Migranten zweiter Generation, d. h. im Inland geborenen Kindern von Zuwanderern. M. wird oft synonym mit Begriffen wie Zuwanderer oder Ausländer verwendet.

Migrationsvordergrund, der. Selbstbezeichnung für Menschen, die wegen ihres Erscheinungsbildes den Anschein erwecken, Migrationserfahrung gemacht zu haben. Menschen mit z. B. schwarzer Hautfarbe haben verstärkt mit Diskriminierung zu tun. Sie tragen ihren Hintergrund in den Vordergrund.

Neo-Österreicher, der. Österreicher mit Migrationshintergrund, der sich mit Österreich identifiziert. Gegensatz zu Altösterreichern (autochthone Österreicher).

Ostbande, die
. Abwertende Bezeichnung für gewerbsmäßig organisierte
Kriminaltouristen aus zumeist osteuropäischen Ländern.

Postmigrant: der. Migrantische Selbstdefinition: Menschen, die Wurzeln in anderen Ländern haben, aber bei denen die Migration weit im Hintergrund (etwa der Eltern etc.) liegt.

Scheinasylant, der (verächtlich). Aslywerber bzw. Flüchtling, dem unterstellt wird, sich den Flüchtlingsstatus durch falsche Angaben erschleichen zu wollen bzw. sich erschlichen zu haben. Wird häufig synonym für
Wirtschaftsflüchtling verwendet.

Südländer, der
. Person aus einem meist südlich von Österreich gelegenen Land. Wird häufig abwertend und in Zusammenhang mit Kriminalität (und auch Exotik) eingesetzt.

Vorzeigemigrant, der. Mensch mit Migrationshintergrund und hoher Integrationswilligkeit bzw. erbrachter beruflicher/sozialer Leistung. Häufige mediale Erwähnung, Vorbildwirkung für andere Migranten.

Weltenbürger, der
(meist idealisierte Selbstdefinition). Mensch, der sich keinem Nationalstaat zugehörig fühlt und die ganze Welt als Heimat betrachtet. Häufige Verwendung für gut betuchte Globetrotter auf Weltreise.

Wirtschaftsflüchtling, der. Zuwanderer, der wegen schlechter ökonomischer Chancen in seinem Heimatland in ein anderes Land reist. Wird meist abwertend benutzt (auch
Scheinasylant).

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