10.12.2013

Diskussion Bettelverbot

Betteln: Was ist verboten? Was ist erlaubt?
10.01.2013 | 18:28 | PHILIPP AICHINGER UND EVA WINROITHER (Die Presse)

Das Verfassungsgericht hebt das steirische Bettelverbot auf, weil es das Betteln zu stark einschränkt - stilles Betteln müsse erlaubt sein. In Wien, wo die Regelung nicht gekippt wurde, gab es im Vorjahr 1458 Anzeigen.

Wien. Das Bettelverbot in der Steiermark ist rechtswidrig. Das gab der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Donnerstag bekannt. Die Entscheidung ist ein vorläufiger Schlussstrich unter eine Reihe von Urteilen, die es zu Bettelverboten in fünf Bundesländern zu fällen galt. „Die Presse“ hat untersucht, welche Einschränkungen des Bettelns rechtlich möglich sind und was Bettelverbote bringen.

1 Ist es nach den VfGH-Urteilen nun überhaupt noch möglich, Bettelverbote zu erlassen?
Ja. Das Höchstgericht hat festgestellt, dass es den Bundesländern erlaubt ist, Bettelverbote zu erlassen. Allerdings darf das Betteln nicht völlig verboten werden. So ist es etwa nicht möglich, auch das stille Betteln zu untersagen. Dies sah die aufgehobene Salzburger Regelung vor, weil es das Betteln ganz verbot und es nicht einmal mehr erlaubt war, ruhig auf der Straße zu sitzen und per Handaufhalten um milde Gaben zu bitten.
In der Steiermark legte man ein absolutes Bettelverbot fest, erklärte aber, dass Gemeinden „Erlaubniszonen“ einführen können, in denen Betteln gestattet bleibt. Diese Regelung sei aber ebenfalls rechtswidrig, sagt der VfGH. Denn die Gemeinden können zwar Erlaubniszonen einrichten – sie müssen aber nicht. Damit ist das Bettelverbot aber wieder ein absolutes.

2 In welchen Bundesländern gibt es Bettelverbote und wie sehen diese nach den Urteilen aus?
Die Bettelverbote in Oberösterreich, Kärnten und Wien hielten im Vorjahr vor dem VfGH, weil sie bloß bestimmte Erscheinungsformen des Bettelns untersagen. Alle Länder haben unterschiedliche Gesetze und Definitionen geschrieben. Sie alle lassen aber die Möglichkeit des stillen Bettelns offen. Untersagt sind in den diversen Landesgesetzen zum Beispiel aggressives Betteln, Betteln mit Kindern oder gewerbsmäßiges Betteln. Alle diese Dinge dürfe man auch verbieten, sagt der VfGH.
In Salzburg verabschiedete man, nachdem das absolute Verbot vom VfGH gekippt worden war, eine neue Regelung. Auch in Salzburg ist nun nicht jegliches Betteln verboten, sehr wohl aber aufdringliches oder aggressives Betteln und der Einsatz von unter 14-jährigen Kindern. Eine ähnliche Regelung gilt nach der jetzigen VfGH-Entscheidung auch in der Steiermark. Denn das aktuelle Urteil sorgt dafür, dass das alte steirische Gesetz wieder auflebt, das nur bestimmte Arten des Bettelns verbietet.
Bettelverbote gibt es unabhängig von den jüngsten VfGH-Urteilen auch in Tirol, Niederösterreich und Vorarlberg. Im Ländle gilt (noch) ein absolutes Bettelverbot. Vorarlberg will deswegen sein Gesetz reformieren, um etwaigen Rechtsstreit zu vermeiden. Im Burgenland gibt es kein Landesgesetz gegen Betteln.

3 Warum darf man das Betteln nicht generell verbieten?
Der VfGH verweist auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Darin steht das Recht auf Meinungsäußerung und aus diesem Recht lässt sich auch die Befugnis, um milde Gaben zu bitten, ableiten. Stilles Betteln „an öffentlichen Orten ausnahmslos zu verbieten, ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig“, betonen die Höchstrichter.

4 Wie wird das Bettelverbot in Wien exekutiert?
In Wien wird zwischen verschiedenen Arten von Bettelei unterschieden: Verboten sind aggressives, gewerbsmäßiges und organisiertes Betteln sowie Betteln mit Kindern bis 14 Jahre (Definitionen siehe unten). Im vergangenen Jahr gab es in der Bundeshauptstadt 1458 Anzeigen wegen Bettelei, wobei sich 836 Anzeigen auf aufdringliche, 132 auf aggressive, 453 auf gewerbsmäßige und 29 auf organisierte Bettelei bezogen. Des Weiteren gab es acht Anzeigen wegen Bettelei mit Kindern. Seit Einführung des Verbots sind die Anzeigen deutlich gestiegen. Laut Polizeisprecher Roman Hahslinger ist dabei kein Fall aufgetaucht, bei dem eine ganze Bettlermafia ausgehoben oder jemand zum Betteln gezwungen wurde. Wie die einzelnen Bettelverbote (etwa das Wort „aggressiv“) genau definiert werden, sagt das Wiener Landesgesetz nicht, dies ist Auslegungssache der Polizei. Verstößt ein Bettler gegen eines der Bettelverbote, drohen Strafen bis zu 700 Euro.

5 Wie viele Bettler gibt es in Wien und woher kommen sie?
Wie viele Bettler es in Wien gibt, wird nicht erfasst. Und weder Polizei noch diverse Bettler-Aktivisten wollen sich auf eine Schätzung festlegen. Einig sind sich aber alle, dass die meisten Bettler aus dem Ausland kommen, zum Großteil aus Rumänien und Bulgarien. Unter den heimischen Bettlern finden sich wiederum Punks, Drogenabhängige und Obdachlose, sagt Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen. Sie geht davon aus, dass wegen wachsender Armut die Zahl der Bettler in Wiens Straßen am Steigen ist.

6 Wie entwickelt sich die Bettler-Situation in Wien?
Seit der Novelle 2010 (damals wurde das Verbot der gewerbsmäßigen Bettelei im Gesetz verankert) ist die Zahl der Anzeigen gestiegen (von 1127 im Jahr 2010 auf 1273 im Jahr 2011, 2012 hielt man bei 1458). Mit ein Grund dafür ist, dass die Polizei nun stärker gegen Bettler vorgeht. Ob das Bettelverbot die Zahl der Bettler verringert hat? Das, so die Exekutive, könne man nicht sagen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)


Pro: "Missstände in Wien"
10.01.2013 | 18:28 | (Die Presse)
VP-Politiker Ulm: Polizei muss schärfer gegen Bettler vorgehen - sonst wäre das Amtsmissbrauch.

Die Presse: Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs: Ist Betteln ein Menschenrecht?
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Wenn jemand keinen Anspruch auf eine staatliche Unterstützung hat?
Wenn Menschen, denen es in der Slowakei oder Rumänien wirtschaftlich schlecht geht, pro Tag in Wien 100 Euro erbetteln, ist das für sie viel Geld. Das ist aber nichts, was wir akzeptieren sollten, weil es nicht bei einer Person bleibt. In Wahrheit geht es um organisiertes und erwerbsmäßiges Betteln.

Was ist mit der christlich-sozialen Verantwortung für Schwächere?
Ich bin für Spenden an soziale und karitative Organisationen, die vor Ort etwas für arme Menschen leisten.

Gibt es zu viele Bettler in Wien?
Wir hören viele Klagen von Wienern, dass sie zu keinem Supermarkt mehr gehen können, ohne angebettelt zu werden. Deshalb gehen viele nicht mehr in Einkaufsstraßen, sondern in Einkaufszentren, wo es eine Security und daher keine Bettler gibt. Man müsste das Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns besser exekutieren. Es sind ja immer dieselben, die vor den Supermärkten stehen.

Die Polizei soll in Wien härter durchgreifen?
Wenn man sehenden Auges als Behörde nicht einschreitet, stellt sich die Frage, ob das nicht Amtsmissbrauch ist. Die Gesetze müssen vollzogen werden, um die Bettelmissstände zu beheben.

Warum wird das Gesetz nicht vollzogen?
Weil Rot-Grün nicht davon überzeugt ist. Der Bürgermeister muss mit dem Polizeipräsidenten über mehr Schwerpunktkontrollen reden. Denn 99 Prozent der Betteleien vor Supermärkten und in der Innenstadt sind gewerbsmäßig.

Wenn die Polizei strenger kontrollieren würde, wäre Wien fast bettlerfrei?
Sicher! Man kann außerdem nicht sagen, dass es zwischen Bettelei und Kriminalität gar keinen Zusammenhang gibt. stu [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)


Kontra: "Recht, um Hilfe zu bitten"
10.01.2013 | 18:28 | (Die Presse)
Der Grazer "Bettelpfarrer" Wolfgang Pucher kämpft seit Jahren gegen das Bettelverbot.

Die Presse: Warum treten Sie gegen das Bettelverbot auf?
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Aber solange man Betteln erlaubt, hält man der organisierten Kriminalität – Stichwort Bettlerbanden – ein lukratives Geschäftsfeld offen.
Wir haben das in Graz untersucht. Die Bettler, häufig Roma, sind statistisch gesehen nicht mehr oder weniger kriminell als Österreicher. Selbst die Staatsanwaltschaft konnte keine organisierten Bettlerbanden nachweisen. Vermutlich wird es das organisierte Betteln wohl in geringem Ausmaß geben, ich selbst bin dieser Form jedoch noch nie begegnet. Es ist deshalb falsch, aufgrund vereinzelt auftretender Fälle eine ganze Volksgruppe zu kriminalisieren.

Dennoch erhöht legales Betteln das Risiko für schwache, bedürftige oder behinderte Menschen, von Dritten für ihre Zwecke missbraucht zu werden.
Kriminelle Einzelfälle soll man bekämpfen. Der wirksamste Weg auch diese zu verhindern, wäre, Quartiere für alle obdachlosen Bettler zu schaffen. Unsere Vinziwerke haben das in mehreren Bundesländerhauptstädten getan. Sehr häufig funktioniert die Bettelkriminalität nämlich so, dass die Banden Bettlern eine Unterkunft bieten und sie als Gegenleistung dafür auf die Straße schicken.

Können Sie nachvollziehen, dass sich Passanten durch aggressives Betteln oder bewusstes Zurschaustellen von Behinderungen oder Verstümmelungen zumindest unwohl fühlen?
Aggressives Betteln lehne ich ab. Der Begriff „Zurschaustellen“ gefällt mir nicht. Wenn jemand eine Behinderung hat, die ihm das Leben schwer macht, hat er wohl alles Recht, der Welt zu zeigen, warum es ihm schlecht geht.

Das soziale Netz ist dicht. Objektiv gibt es wenig Gründe, überhaupt auf der Straße zu betteln.
Man darf nicht vergessen, dass viele, die das machen, aus Scham oder wegen psychischer Erkrankungen gar nicht zum Sozialamt gehen, obwohl ihnen Hilfe zustünde. awe [APA]


("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)

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